Orthopädische Praxis 05/2002, 38.Jahrgang, Seite 335-341
Komplikationen der nonendoskopischen perkutanen Laserdiskusdekompression und -nukleotomie (PLDN) mit dem Neodym-YAG-Laser 1064 nm, J. Hellinger
Background
und Objective:
Die nonendoskopische perkutane Laserdiscusdekompression und
–nukleotomie mit dem Nd-YAG-Laser 1064 nm hat sich als minimalinvasives
Verfahren bei discogenen, vertebragenen Schmerzsyndromen, verursacht durch
Bulging, Protrusionen, gedeckten und nicht gedeckten Extrusionen im Bereich
aller Wirbelsäulenabschnitte bewährt. Ein wichtiges Kriterium für den Einsatz
dieser neuen Methode ist die Rate von Komplikationen.
Studiendesign, Material und Methode:
Es wurden 3377 Patienten vom 23.11.1989 bis zum 30.04.02
mit dieser Methode behandelt. 356 Patienten wurden an der Halswirbelsäule und
38 an der Brustwirbelsäule operiert. Die prospektive konsekutive Kontrolle
erfolgte mit lückenloser Erfassung nach sechs Wochen. Alle Komplikationen
wurden in diesem Zeitraum somit erfasst. Es wurde ein Vergleich mit dem in der
Literatur niedergelegten Komplikationsraten von anderen intradiskalen perkutanen
Methoden und der offenen Diskuschirurgie angestellt.
Results:
Die PLDN mit dem Nd-YAG-Laser 1064 nm ist im LWS- Bereich im allgemeinen mit einer Komplikationsdichte von 0,5% ausgewertet. Im Halswirbelsäulenbereich betrug die Komplikationsdichte 1,0%. Bei thorakalen Eingriffen traten keine schwerwiegenden Komplikationen auf. Im Vergleich zu den in der Literatur niedergelegten Zahlen der möglichen Komplikationen bei anderen Verfahren handelt es sich somit um ein sehr risikoarmes Vorgehen.
Discussion:
Interventionelle Verfahren an der Wirbelsäule bei
diskogenen Schmerzsyndromen müssen nicht nur an ihrer Erfolgsrate, sondern auch
an der Komplikationsdichte gemessen werden. Dabei ist die Einführung eines
neulandmedizinischen Verfahrens im juristischen Sinne im Einzelfall als
Heilversuch zu werten (Laufs 1982). Deshalb bedurfte die Durchführung der
nonendoskopischen perkutanen Laserdiskusdekompression und –nukleotomie mit dem
Nd-YAG-Laser 1064 nm der begleitenden Evaluierung mit Bestimmung der
Komplikations-dichte, um die Gefährdungen für den Patienten rechtzeitig
erkennen zu können. Die Summe der Heilversuche könnten definitorisch als
klinisches Experiment betrachtet werden (Hellinger 1993). Damit bestehen
Analogien zur Einführung neuer Pharmakotherapien. Bei Eingriffen an der Wirbelsäule
ist besondere Aufmerksamkeit den Komplikationen zu widmen. Alle Maßnahmen
interventioneller Art, einschließlich wirbelsäulennaher Injektionen wie
Nervenwurzelblockaden oder paravertebrale Infiltrationen, können letztlich über
Infektion zum Desaster einer Querschnittslähmung führen (Stöhr 1996). Gerade
aus diesem Grunde ist die Bewertung der Komplikationsdichte bishin eben zu
desaströsen Einzelfällen auch für die Auswahl des Behandlungsverfahrens bei
diskogenen vertebragenen Schmerzsyndromen von größter Bedeutung.
Im Oktober und November 1989 wurde durch Siebert
(Bauchlage) und Hellinger (Seitlage) die nonendoskopische perkutane
Laserdiskusdekompression und –nukleotomie mit dem Nd-YAG-Laser 1064 nm in
Deutschland eingeführt, nachdem Ascher und Choy 1986 weltweit den ersten
Eingriff vorgenommen hatten. 1990 erfolgte die topologische Ausweitung auf die
Halswirbelsäule (Hellinger 1991) und die Brustwirbelsäule (Siebert 1991).
Die
Komplikationen des Eingriffs wurden im Vergleich zu anderen interventionellen
Verfahren bei diskogenen Schmerzsyndromen durch Bulgings, Protrusionen und
Extrusionen an der Wirbelsäule, begleitet mit der Vorstellung der positiven
Ergebnisse in einzelnen Pilotstudien, prospektiven Studien bishin zu einer
prospektiven randomisierten einfachen Blindstudie, wiederholt aufgelistet
(Siebert, Berendsen, Tollgard 1996; Hellinger 1991, 1992, 1996, 1998; Hellinger
und Paul 2000; Castro, Halm, Schinkel 1992).
Dem vorliegenden Beitrag liegt die konsekutive
prospektive Kontrolle von 3377 Patienten mit diskogenen vertebragenen
Schmerzsyndromen durch Bulging, Protrusionen, gedeckten und nicht gedeckten
Extrusionen, die vom 23.11.1989 bis 30.04.2002 mit dieser Methode behandelt
wurden, zugrunde. Davon wurden 356 Patienten an der Halswirbelsäule und 38 an
der Brustwirbelsäule operiert. Die Kontrolle erfolgte 6 Wochen postoperativ und
ist einschließlich 5% notwendiger Telefoninterviews lückenlos. Die
Komplikationen und Probleme sollen in einzelnen Bereichen dargestellt werden.
1. Technische Probleme
In einem Fall
musste lumbal wegen fehlerhafter Bedienung mit Stop der Stromzufuhr am Lasergerät
der Eingriff am nächsten Tag wiederholt werden. An der Halswirbelsäule kam
dies ebenfalls einmal vor. In einem Fall musste der Eingriff abgebrochen werden,
da die Funktion des Bildwandlers während des lumbalen Eingriffs ausfiel.
Insgesamt beträgt die Fehlerquote aufgrund technischen Versagens der Laser- und
Röntgengeräte weniger unter 0,1%. Für die LWS beträgt sie 0,1%, für die HWS
0,3%. Thorakale Eingriffe verliefen ohne Probleme. Nachteilige Folgen für den
Patienten entstanden außer dem unangenehmen Gefühl der Wiederholung des
Eingriffs nicht. Ascher (1995) berichtete über einen Nadelspitzenabbruch bei
der von ihm verwendeten sehr dünnen Kanüle mit folgenlosem Verbleiben im
Fettgewebe. Einmal kam es nach seiner Mitteilung auch zu einem folgenlosen
Abbruch der Laserfiberspitze.
2. Probleme bei der Punktion des Bandscheibenraumes
Im zervikalen Bereich wurde zweimal bei über 800
punktierten Bandscheiben wegen Spondylophyten im Nachbarsegment des besonders
betroffenen Bandscheibenraumes die Punktion nicht ausgeführt. In einem Fall
wurde eine transspondylophytäre Laserosteotomie (Hellinger 1992) zum Zugang
notwendig. Die Fehlerquote beträgt somit 0,2%. Verletzungen der magistralen
Halsgefäße, Trachea oder Ösophagus kamen nicht vor. Daß diese Möglichkeit
besteht, zeigen die Fälle von je einer Trachea- und Ösophagusläsion, die
Ferdini (1998) mitteilte. Im Vergleich zum offenen ventralen Vorgehen ist dies
jedoch viel seltener (Grumme und Kolodziejczyk 1994). Gefäßverletzungen werden
dort als Einzelfälle beschrieben, Ösophagusverletzungen mit 0,03 – 0,07%.
Auch Pneumothoraxfälle sind bekannt.
An der Brustwirbelsäule musste ein Patient ohne
Laserbehandlung bleiben, da die Punktion TH 5/6 nicht gelang. Punktionsbedingte
Komplikationen traten nicht auf. Stern (1998) berichtete über einen
Pneumothorax bei seinen 8 Fällen. Nach Drainage wurde die Komplikation
folgenlos beseitigt.
Im Lendenwirbelsäulenabschnitt kam es in 5 Fällen
zu einer prävertebralen Lage der Nadel-spitze. Weitere Folgerungen traten bei
dieser Komplikation nicht auf . Bei über 8000 punktierten Bandscheiben
entspricht dies einer Rate von 0,075%. Wenn der Zugang erzwungen werden muß, um
das in der Pathologie führende Segment zu erreichen, kann eine
transspondylophytäre, transspondyläre oder transartikuläre Laserosteotomie (Hellinger
1992) in 0,25% der Fälle notwendig werden. Sie war immer komplikationsfrei möglich.
Knochenschädigungen traten nicht auf. Die Behandlungsergebnisse wurden dadurch
nicht negativ beeinflusst. In 3 Fällen wurde bei auf dorsolateralem
paravertebralen Wege nicht erreichbaren Bandscheibenraum L5/S1 die transdurale
Punktion komplikationsfrei ausgeführt.
Nervenwurzelläsionen durch die Punktion traten nicht
auf. Mayer und Schwetlick (1993) berichteten über 0,46%
Nervenwurzelverletzungen bei der Punktion zur perkutanen Diskektomie (PLD),
perkutan-endoskopischen Diskektomie (PED), perkutanen endoskopischen
Laserdiskektomie (PELD) und bei der automatisierten perkutanen lumbalen
Diskektomie (APLD) sowie der perkutanen Fensterung (PF). Die benutzten
Punktions-instrumente sind im Durchmesser um ein Vielfaches größer als die bei
der PLDN verwendeten Punktionskanülen von 18 Gauge bis 2 mm Außendurchmesser.
Nach Mayer und Schwetlick betrug die Rate von retroperitonealen Gefäßverletzungen
durch Punktionskanülen 3%. In 0,15% war eine Verletzung des Processus
transversus beschrieben. Im Vergleich zur offenen, auch mikroskopisch ausgeführten
Nukleotomie mit Nervenwurzelverletzungen bis zu 8% (Grumme und Kolodziejczyk
1994) ist die Rate bei der Nd-YAG-PLDN außerordentlich niedrig anzusetzen.
3. Hämatome
Im Zervikalbereich wurden vereinzelt (3) episternale
Hämatome ohne Folgen beobachtet. Bei offenen Operationen wird die Häufigkeit
bis zu 11% beschrieben (Grumme und Kolodziejczyk 1994). Durchgeführte
MRI-Kontrollen ergaben niemals eine mediastinale Hämatombildung. Lumbal wurde
ein größeres Hämatom bei wiederholten Punktionsversuchen registriert. Hilbert
et al (1995) beschrieben ein kernspintomographisch gesichertes großes Psoashämatom.
Bei APLD und PF-Eingriffen wiesen 1,7% der Patienten Psoashämatome auf (Mayer
und Schwetlick 1993). Da der Eingriff den Spinalkanal nicht
tangiert, sind epidurale Hämatome, wie sie bei offenem Vorgehen mit fatalen
Folgen bis zu 1% (Grumme und Kolodziejczyk 1994) auftreten, selbstverständlich
nicht beobachtet worden.
4. Intraabdominelle Verletzungen
Schwerster Fall
war eine Perforation im peripheren Ileumbereich. Die zunächst völlige
Beschwerdefreiheit des Patienten endete am 2. postoperativen Tag mit der
Symptomatik eines akuten Abdomen. Die erforderliche Laparotomie mit Dünndarmresektion
musste ausgeführt werden. Histologisch wurde ein laserstrahlbedingter Defekt am
Darm verifiziert. Als Ursache ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Penetration
der Barefiber in den Abdominalraum bei Lösung der damals verwendeten
Klebemarkierung annehmbar. Offenbar war es zu einer Läsion des peritonealen Überzugs
des Dünndarms gekommen. Die entstandene Koagulationszone ist dann infolge einer
Kolliquationsnekrose perforiert. Ein theoretisch mögliches Durchdringen des
Laserstrahls in den Abdominalraum ist, da keinerlei retroperitoneale Zeichen dafür
vorlagen, als außerordentlich unwahrscheinlich anzunehmen. Im Vergleich zu
mikrochirurgischen Diskektomien bei einer Inzidenz von abdominellen
Verletzungen, dazu zählen noch Gefäße und Ureter, von 1:3000, ist dieser
Fall, der in keiner anderen Studie wieder beschrieben wurde, als Ausnahme
anzusehen (Smith, DeBord, Hanigan 1991). Es liegt somit in der statistischen Häufigkeit
dieser Komplikationsmöglichkeit anderer mikrochirurgischer Diskektomien.
Schwartz und Brodkey (1989) berichteten über einen Fall von Colon
sigmoideus-Verletzung bei L4/5-Mikrodiskektomie mit nachfolgender
Spondylodiszitis. Shaw et al (1981) beschreiben 10 Fälle von Darmverletzungen während
konventioneller Diskektomie. Verletzungen bei Operationen im Bereich L4/5, wie
im eigenen dargestellten Fall, betreffen wahrscheinlich häufiger das Ileum
(Birkeland und Taylor 1970 sowie Harbison 1954).
5. Vasovagale Reaktion
An der HWS musste 3 mal eine vasovagale Reaktion registriert werden. In allen Fällen konnte der Eingriff technisch erfolgreich abgeschlossen werden. Ursache könnte neben der Wirkung des Lokalanästhestikums auch eine palpatorische Reizung des Carotissinus bei der Punktion des Bandscheibenraumes sein. Bei zervikalen Diskographien sind durch diesen Pathomechanismus verursachte Todesfälle bekannt.
Im Bereich der
LWS musste der Eingriff bei einem Patienten nach 300 Joule abgebrochen werden.
Das klinische Resultat war trotzdem sehr gut. In der von Mayer und Schwetlick
(1993) durchgeführten polyzentrischen Studie trat bei intradiskaler
Dekompression (APLD, PF) in 2 Fällen eine vasovagale Komplikation auf. Es
handelt sich somit um eine außerordentlich seltene, jedoch nicht ungefährliche,
mit dem Eingriff verbundene Komplikation.
6.
Infektionen
Bei PLDN-Eingriffen an der LWS wurde eine intradiskale Abszedierung mit notwendiger erfolgreicher offenen Entlastung wegen sensibler Kaudasymptomatik beobachtet (Abb.1). Ein weiterer Fall mit klinischem Verdacht auf eine Spondylodiszitis, die jedoch nicht bakteriologisch verifiziert und bildgebend sicher dargestellt wurde, soll hinzugezählt werden. Die Inzidenz entspricht somit 0,08%. Dies ist durch vielfältigste Mitteilungen belegt, sodaß die Infektionsrate im Bereich von 0.1% bei erfassten über 8000 Eingriffen liegt (Siebert 1992, Evermann und Stern 1998, Choy 1998, Ascher 1995). Die Infektionsrate bei offenen Nukleotomien liegt in günstigsten Studien zwischen 0,2% (Messing-Jünger, Bock 1995) und 8,5% (Grumme und Kolodzieyczyk 1994). Bei der von Mayer und Schwetlick (1993) ausgewerteten multizentrischen Studie intradiskaler Operationsverfahren war die Spondylitisrate mit 0,3% bis 1,5% angegeben.
Im thorakalen Bereich trat keine Infektion auf.
An der Halswirbelsäule musste eine Infektion mit Staphylococcus albus mit nachfolgender Armlähmung offen operiert werden. Dabei ist die Armlähmung erst nach der instrumentellen Myelographie zur Abklärung heftiger zervikobrachialer Schmerzen aufgetreten. Es fand sich epidural Granulationsgewebe. Das Abstrichergebnis bestätigte dann die Infektion. Die Ausheilung erfolgte mit einer völligen Rückbildung der Lähmung.
Eine intradiskale Abszedierung mit Nachweis von Staphylococcus aureus führte zu einer foudrouyanten progredienten Quadruplegie. Durch dorsale und ventrale Entlastung ist es zu einer weitgehenden Rückbildung der Lähmungserscheinungen gekommen. Die Infektionsrate an der Halswirbelsäule beträgt jetzt nach voll kontrollierten 356 Fällen 0,5%. Auch hier ist sie noch deutlich unter der Rate bei offenen Operationen mit bis zu 2% bei ventralem Vorgehen und 1,4 bis 2% bei dorsalem Operieren gelegen. Tiefe Infektionen der Weichteile wurden nicht gesehen. Choy (1998) beschrieb einen prävertebralen Abszeß bei zervikaler Nd-YAG-PLDN. Bei ventraler Operation an zervikalen Bandscheiben beschreiben Grumme und Kolodzieyczyk 0,1 bis 0,7% tiefe Infektionen (1994).
Die Ergebnisse
der Infektionsstatistik müssen unter dem Aspekt des Antibiotikaschutzes gesehen
werden. An der Lendenwirbelsäule wird der Eingriff nur in Ausnahmefällen unter
Antibiotikaschutz bei schlechtem Allgemeinzustand ausgeführt. An der Hals- und
Brustwirbelsäule wird seit dem Auftreten der Staphylococcus haemolyticus
aureus-Infektion bei dem 87. zervikalen Eingriff jetzt eine präoperativ
eingeleitete Eintagesantibiotika-prophylaxe durchgeführt. In diesem Zeitraum
ist keine Infektion mehr aufgetreten.
7.
Thromboembolische Komplikationen
Im LWS-Bereich
ist über 3 Fälle zu berichten. In einem Fall musste bei einer vorliegenden
behandelten Phlebothrombose wegen progredienter Fußheberlähmung eingegriffen
werden. Der Patient war bereits mehrere Wochen in einer Klinik zur konservativen
Behandlung hospitalisiert. Sowohl das Schmerzsyndrom als auch die Lähmung
konnten erfolgreich behandelt werden, jedoch kam es eine Woche nach dem
PLDN-Eingrff zu einer blanden Lungenembolie. In einem zweiten Fall mit
langdauernden Anamnese bei nicht gedeckter Diskusextruion L5/S1 und längerem
Heilungsverlauf mit Nachbehandlung im Stufenbett trat eine nicht letale
fulminante Lungenembolie 6 Wochen nach dem Eingriff auf. In einem Fall mit
kombinierter diskoosteoligamentärer Spinalstenose und polysegmentaler
Dekompression bei Fußheber-, Fußsenker- und Kniestreckerlähmung kam es nach 2
Wochen zu einer tiefen Unterschenkelvenenthrombose, die erfolgreich therapiert
werden konnte. Thromboembolische Komplikationen sind somit als außerordentlich
selten im Vergleich zum offenen operativen Vorgehen mit bis zu 5,6% nach HWS-
und 26,5% bei LWS-Eingriffen (Oda et al 2000) einzuschätzen. Dies ist ganz
besonders unter dem Aspekt einer nicht durchgeführten generellen
Heparinisierung zu sehen. Die Patienten können sofort am Operationstag
mobilisiert werden. Dies ist der entscheidende Beitrag zur Prophylaxe dieser
Komplikation.
8.
Neurologische Komplikationen
Im Zervikalbereich traten neurologische Verschlechterungen nach den zwei stattgehabten Infektionen auf. Das entspricht einer Rate von 0,6%. In beiden Fällen kam es nach Therapie zur Rückbildung der Erscheinungen. Damit ist die Verschlechterung der neurologischen Situation, auch bei medullären und zervikoencephalen Syndromen, wesentlich niedriger als bei offenen Eingriffen (Grumme und Kolodziejczyk 1994).
Bei thorakalen
Eingriffen traten keine neurologischen Verschlechterungen auf. Damit ist dieses
Verfahren bei nicht kalzifizierten Diskusprotrusionen und –extrusionen für
meine Begriffe vom Risiko/Erfolgsquotienten her weit allen anderen Methoden überlegen.
Im LWS-Bereich sind 4 Verschlechterungen vorbestehender Fußheberparesen zu verzeichnen. Eine Fußheberparese Janda 3 entstand neu. Die Ursache dafür ist nicht abzuklären. Bei Punktion L5/S1 ist möglicherweise ein Hämatom oder eine thermische Schädigung durch Konvektion bei wurzelnaher Lage der Kanüle annehmbar. Von den Verschlechterungen bildeten sich
2 Fälle nach konservativer Therapie wieder zurück. Der neu aufgetretene Paresefall war bei Kontrolluntersuchung nach 6 Monaten ebenfalls nicht mehr nachweisbar. In einem Fall kam es nach zweietagiger gedeckter Diskusextrusion mit Re-PLDN nicht zur Rückbildung der Janda 2-3-Stufe. Der Patient konnte sich jedoch nicht zu einer offenen Operation, auch in einer Beobachtungszeit von 6 Jahren, entschließen. Eine Patientin wurde offen revidiert mit Rückbildung der Fußheberparese Janda 1 auf Janda 3. Fußsenkerparesen traten postoperativ nicht auf. In 6 Fällen kam es zu einer vorübergehenden Schwäche der L3-wurzelversorgten Muskulatur bei polysegmentalem Vorgehen. In allen Fällen war nach 6 Monaten die Parese verschwunden. Konus-Kauda-Syndrome wurden zwei beobachtet. Ein sensibler S2-Ausfall bildete sich nach Entlastung im lumbalen Infektionsfall mit intradiskalem Abszeß zurück.
Bei einer zweiten 56jährigen Patientin mit Re-PLDN kam es nach multisegmentaler Dekompression zu einer Blasenentleerungsstörung mit Detrusorinnervationsstörung. Sie konnte nicht mehr behoben werden und zwingt die Patientin zum Selbstketherismus. Während im ersten Fall die durch Abszedierung bedingte Drucksteigerung intraspinal eine Ursache darstellt, konnte im zweiten Fall bei regelrechter intradiskaler Lage der Kanülenspitze und Barefiber sowie nur geringer Dosis von 500 Joule eine Erklärung nicht gefunden werden. Mit dem zwar außerordentlich seltenen, jedoch für den Patienten belastenden Risiko, der Konus-Kauda-Symptomatik nach dem Eingriff muß somit gerechnet werden.
Im Vergleich zu anderen nicht offenen operativen Verfahren ist die Verschlechterung der neurologischen Situation nach der Arbeit von Mayer und Schwetlick (1993) durch Verletzung der Nervenwurzel beim Zugang in 5 Fällen bei 3194 Patienten beschrieben. Neurologische Schäden nach der Chemonukleolyse sind bishin zur Querschnittslähmung und dem Kauda-Syndrom (0,06%) bekannt. Grumme und Kolodziejczyk haben auch dieses Material (1994) zusammengetragen.
Bei offenen
Operationsverfahren an der LWS sind unterschiedliche Angaben über die Häufigkeit
der Verschlechterung neurologischer Ausfälle beschrieben (Grumme und
Kolodziejczyk bis 9,3% (1994), Messing-Jünger und Brock (1995) bis 2%. Immerhin
müssen immer wieder Konus-Kauda-Syndrome und Lähmungen sowie bis zur verstümmelnden
Operation auftretende Komplikationen durch intraoperative Blutungen registriert
werden.
Auch Sensationen von seiten des vegetativen Nervensystems wurden beobachtet. Zervikal kam es zu einer verlangsamten Rückbildung des häufig nach der regionalen Durchflutung mit Lokalanästhetikum auftretenden Horner-Syndroms. Bei einer lumbalen PLDN L5/S1 nach vorangegangener mikrochirurgischer Nukleotomie mit sehr peripherer Kanülenspitzenlage trat eine Überwärmung des Beines auf der punktierten Seite im Sinne eines Sympathektomie-effektes mit sehr zögerlicher Rückbildung innerhalb von 6 Monaten auf (Plancarte, Calvilla 1997).
In seltenen Fällen
kam es nach der Nd-YAG-PLDN bei lang dauernder Schmerzanamnese trotz
Verschwinden des positiven SLRT’s zu hyperpathischen Schmerzen im Bereich des
Kniegelenkes, des Unterschenkels und des Fußes ohne echte radikuläre
Zuordnung. Diese außerordentlich unangenehmen Sensationen klingen in der Regel
nach 6 bis 12 Wochen wieder ab. In dieser Zeit ist eine intensive
Schmerztherapie erforderlich. Die Ursache ist nicht mit Sicherheit abklärbar.
Annehmbar wäre die Möglichkeit eines Reinnervationsschmerzes nach lang
dauernder radikulärer Schädigung.
9. Stabilitätsschäden,
Deck- und Grundplattenschäden
Bei der Nd-YAG-PLDN mit dem Laser von einer Wellenlänge von 1064 nm und einer korrekten Dosis von nicht höher als 1600 Joule pro Segment und einer Schussfolge von 15 Watt mit maximal 1 sec. Schussdauer ist bislang keine spezifische Deck- und Grundplattenreaktion beobachtet worden. Ödembildungen in angrenzenden Wirbelkörpern wurden außerordentlich selten festgestellt und sind auch nach offener Diskektomie möglich. Simons et al (1994) berichten über einen Fall einer möglichen Läsion der Deck- und Grundplatte zwischen L3 und 4. Eine Hitzeschädigung wird angenommen. Im Gegensatz dazu wird von Graßhoff, Mahlfeld und Kaiser (1998) eine Deck- und Grundplattenschädigung bei Verwendung des Nd-YAG-Laser 1320 nm in 8 Fällen berichtet. Auch Casper (2000) berichtete von Deck- und Grundplattenschäden durch die völlig andere Wirkungsweise des Holmium-YAG-Lasers (2100 nm).
Instabilitäten
sind nach den Untersuchungen von Siebert, Machacek und Steffen (1991),
Wittenberg und Steffen (1997) nicht zu erwarten. Bei den Nachuntersuchungen
durch Evermann und Stern (1998) ist dies klinisch bestätigt worden. Auch in der
eigenen Vierjahresstudie (Kornelli-Weindel, Hellinger 2000) fiel kein Patient
mit einer operations-bedingten Instabilität auf.
10.
Allgemeine Komplikationen
Todesfälle
kamen insgesamt nicht vor. An Allgemeinerkrankungen musste eine akute
Cholangitis im postoperativen Frühverlauf behandelt werden. Eine zerebrale
Durchblutungs-störung bei Carotisstenose erforderte ebenfalls frühpostoperativ
die Verlegung in eine entsprechende Einrichtung. Beide Fälle waren lumbal
behandelt worden und heilten folgenlos aus.
Schlußfolgerung
Interventionelle Verfahren an der Wirbelsäule bei diskogenen Schmerzsyndromen sind nicht nur an der Erfolgsrate, sondern auch an der Komplikationsdichte zu messen. Bei der Anwendung des Neodym-YAG-Lasers 1064 nm zur intradiskalen Dekompression und
Nukleotomie bei diskogenen Schmerzsyndromen ist die Komplikationsdichte mit unter 1% wesentlich niedriger als die ermittelten 3,7% anderer instrumenteller intradiskaler perkutaner
Methoden. Im Vergleich zu neueren Komplikationszahlen bis zu 14% bei der offenen Diskuschirurgie und gar nicht vergleichbar mit den Komplikationen bei der Fusionschirurgie handelt es sich um eine außerordentlich niedrige Komplikationsdichte. Neben seltenen technischen Problemen kann die Punktion des Bandscheibenraumes ausnahmsweise
Schwierigkeiten bereiten. Hämatome sind sehr selten und ohne weitere Folgen geblieben. Eine intraabdominelle Verletzung, Perforation des peripheren Ileum, muß als schwerwiegende Komplikation im Lumbalbereich gesehen werden. Vasovagale Reaktionen müssen in seltenen Fällen an der Halswirbelsäule beachtet werden. Die Infektionsrate liegt im eigenen Krankengut bei 0,08% an der Lendenwirbelsäule und bei 0,6% an der Halswirbelsäule. Damit ist sie deutlich unter den Werten bei ventraler offener oder auch dorsaler Chirurgie gelegen. Thromboembolische Komplikationen zählen zu den größten Seltenheiten, während neurologische Verschlechterungen ebenfalls nur in Einzelfällen nachweisbar waren. Todesfälle traten bisher nicht auf. Da der Neodym-YAG-Laser 1064 nm eine sehr hohe Erfolgsrate hinsichtlich Patientenzufriedenheit, Schmerzbefreiung und Rückbildung von Lähmungserscheinungen aufweist und die Komplikationsdichte von allen instrumentellen interventionellen Wirbelsäulenverfahren am niedrigsten liegt, ist er für uns der Lasertyp der Wahl zur intradiskalen Dekompression und Nukleotomie.
Zusammenfassung
Die Einführung der nonendoskopischen perkutanen Laserdiskusdekompression und
–nukleotomie (PLDN) mit dem Nd-YAG-Laser 1064 nm durch Ascher und Choy hat die intradiskale Therapie bei diskogenen Schmerzsyndromen auf eine völlig neue Qualitätsstufe gehoben. Die Einführung des Verfahrens in Deutschland bedurfte, da es sich um Heilversuche im Einzelfall bei der Anwendung der Methode handelt, der fortlaufenden Evaluierung nicht nur der sehr hohen Erfolgsrate, sondern der konsekutiven Feststellung von Komplikationen. Es bestehen juristische Parallelen zur Einführung neuer medikamentöser Behandlungs-verfahren.
Mit der Auswertung von 3377 Patienten, davon 356 an der Halswirbelsäule und 38 an der Brustwirbelsäule operierten Fällen, vom 23.11.1989 bis 30.04.2002 wurde eine außerordentlich niedrige Komplikationsdichte ermittelt (Tab). Bei Eingriffen an der
Lendenwirbelsäule liegt sie bei schweren Komplikationen in der Höhe von 1 ‰ und damit niedriger als bei anderen intradiskalen instrumentellen Verfahren. Im Vergleich zu neueren Komplikationszahlen mit bis zu 14% und bei Re-Eingriffen sowie bei Fusions-Operationen noch höheren Werten handelt es sich um eine außerordentlich komplikationsarme Methode.
Die Gesamtpalette der Komplikationen ist auf Einzelfälle beschränkt, kann jedoch die gesamte Bandbreite möglicher Zwischenfälle umfassen. Seltene technische Probleme bei der Punktion des Bandscheibenraumes, sehr selten auftretende Hämatome und vasovagale Reaktionen, müssen mit dem Patienten besprochen werden.
Schwerere Verletzungen wie die Perforation des peripheren Iliums bei lumbalem Eingriff oder Infektionen mit nachfolgenden Lähmungskomplikationen stellen im Einzelfall schwere Komplikationen dar. Die Infektionsrate lag im eigenen Krankengut an der Lendenwirbelsäule bei 0,08% und an der Halswirbelsäule bei 0,6%. Damit liegt sie deutlich unter den Werten bei offenem chirurgischen Vorgehen. Die Verschlechterung neurologischer Symptome ist fast ausschließlich an die Infektion gekoppelt. Nur in ganz einzelnen Fällen verblieben leichte Restschäden. Besonders bemerkenswert ist die niedrige Zahl thromboembolischer Komplikationen. Todesfälle traten bisher nicht auf. Der Eingriff mit dem Nd-YAG-Laser 1064 zur intradiskalen Vaporisation und dem Shrinking-Effekt zur spinalen Entlastung neben anderen positiven Begleiteffekten zeigt eine hohe Erfolgsrate hinsichtlich Patienten-zufriedenheit, Schmerzbefreiung und Rückbildung von Lähmungen. Da die Komplikations-dichte von allen instrumentellen interventionellen Wirbelsäulenverfahren am niedrigsten liegt, ist er für uns der Lasertyp der Wahl zur intradiskalen Dekompression und Nukleotomie.
Literatur beim Verfasser