März 2001 - Laserjournal / Zeitschrift für innovative Lasermedizin
Schmerzlindernd:
Nonendoskopische perkutane
Laserdiskusdekompression und -nukleotomie

Grundlagen und Erfahrungen mit dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm

Nach ersten experimentellen Voruntersuchungen durch Choy und Mitarbeiter wurde 1986 von

P, W. Ascher die erste nonendoskopische perkutane Laserdiskusdekompression und

-nukleotomie (PLDN) mit dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm durchgeführt. Seitdem hat sich das

Verfahren trotz vieler, meist sachlich unbegründeter und polemischer Einwände in der Hand

von erfahrenen Experten tausendfach bewährt. Bei einer großen Zahl von Patienten konnte

das diskogene vertebragene Schmerzsyndrom beseitigt oder auf ein erträgliches Maß reduziert

werden. Die sonst notwendige offene Operation als Mikrodiskektomie, endoskopische

transforaminale Sequestrotomie bis hin zur mehretagigen Fusionsdekompressions-Operation

konnte in etwa 90% der Fälle vermieden werden. Bei einer Komplikationsdichte von bisher

insgesamt nach Meta-Analysen erhobenen 0,66 % steht das Verfahren von dieser Seite her

konkurrenzlos zur Verfügung.

 PROF. DR. MED. JOHANNES HELLINGER / MÜNCHEN

 

Die intradiskale Therapie setzte vor mehreren Jahrzehnten mit der Chemonukleolyse wegen der allseits bekannten Komplikationen der offenen Diskuschirurgie ein. Über die endoskopische intradiskale Diskektomie bis hin zur automatisierten Absaugdiskektomie und der transkutanen Diskektomie wurden verschiedene Verfahren entwickelt, die zu mechanischen Entlastungen führen sollten. Vor diesem Hintergrund ist die 1986 eingeführte nonendoskopische perkutane Laserdiskusdekompression und -nukleotomie mit dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm (CHOY, CASE, ASCHER 1987) als Pionierleistung zu sehen.

Vier Effekte

I. Vaporisation:

Grundgedanke und Zielstellung war durch intradiskale Druckentlastung auch eine Entlastung der nervalen Strukturen im Spinalkanal und Wirbelloch zu erzielen. Dies fußte auf der Kenntnis der Interaktion eines Laserlichtstrahles mit dem Diskusgewebe. Bei dem Beschuss von Diskusgewebe mit dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm entsteht ein kleiner Vaporisationsdefekt, der mit einem Karbonisationssaum ausgekleidet ist. Diese Ablation des Diskusgewebes ist messbar gering. Der Nd:YAG-Laser 1 .320 nm führt zu einer gering höheren Ablation im Vaporisationsbereich (CHOY, ASCHER, SATEKNI, ALKAITES, LIEBLER, HOGES, DIWAN, ALTMANN 1992). Der intradiskale Druckabfall wurde durch diese Arbeitsgruppe eindrucksvoll mit hoher statistischer Signifikanz für den Nd:YAG-Laser 1.064 nm demonstriert (Abb. 1). Der Ablationsdefektdurch die Vaporisation ist selbstverständlich bei Anwendung mechanischer Diskektomieverfahren größer. Da die klinischen Ergebnisse jedoch nicht an die Resultate der Anwendung des Nd:YAG-Lasers intradiskal heranreichen, mussten noch andere Mechanismen Wirkung zeigen. Bedeutsam erscheinen experimentelle Untersuchungen der Osaka-Gruppe mit dem Nachweis, dass der Ablationsdefekt in der Bandscheibe weder alters- noch degenerationsgradabhängig ist.

 

II.. Shrinkingeffekt:

Neben dem Effekt der Vaporisation ist besonderseinther-mischer Effekt bemerkenswert. Nach Beschuss des Diskusgewebes mit hoher Hitzeentwicklung an der Spitze der Laserfiber entsteht durch Koagulation jenseits des Karbonisationssaumes des Vaporisationsdefektes eine Schrumpfung der Kollagenfibrillen. Durch die bekannte Textur der Kollagenstruktur des Faserrings der Bandscheibe ist mit einer Verkleinerung des Gesamtvolumens zu rechnen. Experimentelle Untersuchungen beim Beschuss von Meniskusresektaten mit einer schlagartigen Schrumpfung des halbmondförmigen Gebildes nach Nd:YAG-Laser (1.064 nm)-Beschuss (HELLINGER 1989) ließen den Schluss zu, dass auch ein zirkuläres Gebilde wie die Bandscheibe einem derartigen Shrinkingeffekt (Abb. 2) nach Beschuss unterliegen müsste. An explantierten Rinderbandscheiben konnte dieses Shrinkingphänomen eindrucksvoll demonstriert werden. Der Verlust an Durchmesser der Bandscheiben betrug dabei bis zu 14%. Vergleichende Untersuchungen mit dem Ho:YAG-Laser erbrachten dabei lediglich Werte bis zu 1 % (Tab. 1). Der Nachweis dieses Shrinkingphänomens ist auch durch weitere In-vitro-Untersuchungen belegt. TuRGUietal. (1996) haben den Wasserverlust, die Proteoglykanveränderungen, die Kollagenveränderungen eindrucksvoll nachgewiesen. Auch in vivo konnte der Effekt bewiesen werden. Japanische Autoren berichten über die Messung der Größe extrudierter Diskusanteile bei offenen Operationen und gleichzeitiger intra-diskaler Nd:YAG-Laserdekompression und -nukleotomie mit deutlicher Verkleinerung um Millimetergröße des prolabierten Anteiles. Dem entspricht auch die Demonstration der CT-Videos von GRÖNEMEYER mit der sichtbaren Wirkung des Shrinkingeffektes durch schlagartige? Verkleinerung der Zirkumferenz des Diskus. MAYER hat bei endoskopischer laserassistierter perkutaner Nukieotomie in seinen Videosdiesen Effekt ebenfalls nachgewiesen.

HELLINGER (1992) hat diesen Effekt immer wieder veranschaulicht (Abb. 2). Computertomographische Untersuchungen zur Dichte des protrudierten oder extrudierten Bandscheibenanteils im Spinalkanal erbrachten eine signifikante Senkung der Houndsfiels-Einheiten nach dem Laserbeschuss. Bildgebend konnte der Nachweis einer Druckentlastung im Spinalkanal mit MRI-Myelographie statistisch gesichert nachgewiesen werden (Abb. 3 und 4).

Nd:YAG (164 nm), nicht gepulst

Nd:YAG (1.064 nm), repetetiver Kurzbeschuss

HO:YAG (2.01 Onm), gepulst

0,1-14%

0-2 %

0-1 %

Tabelle 1: Shrinkingeffekt boviner Bandscheiben. Messung des Durchmessers nach 1.000 Joule

 

III. Zerstörung von Nozizeptoren:

Der hintere Faserring der Bandscheibe ist mit einer Vielzahl von Nozizeptoren bestückt. Für die Entstehung der vertebragenen Schmerzen bei Diskuserkrankungen ist dies eine bedeutsame Feststellung. Durch die Hitzewirkung des Nd:YAG-Laser 1.064 nm wird mit Sicherheit ein Teil der Nozizeptoren zerstört. Damit ist ein weiterer Wirkungsmechanismus beschrieben. Jedoch werden nicht nur Nozizeptoren ausgeschaltet, sondern auch Nervenfasern, die im Zuge einer Vaskularisation des degenerierten Bandscheibengewebes nachgewiesen sind, mit zerstört. Dafür genügt teilweise bereits eine Temperatursteigerung bis 42 Grad Celsius.

 

IV. Denaturierung von Chemokininen:

Als vierter Wirkungsmechanismus istdie Denaturierung von Chemokininen aus dem zerrissenen Bandscheibengewebe zu erwähnen. Diese Chemokinine besitzen für die Schmerzentstehung im Rahmen der degenerativen Diskuserkrankungen mit intradiskaler Zerreißung, Protrusionen und Extrusionen eine große Bedeutung.

Abb. 3: Präoperatives MRi-Myelogramm a.p. bei Diskusprotrusionen L3/4, L 4/5, L5/S1 mitRadikulärsyndrom Abb. 4: Postoperative Kontrolle nach einem Tag mit deutlich verbesserter Liquormenge im Duralsack, Vergrößerung der geringsten Breite und verbesserte Gesamtform als Beweis der intraspinalen Druckentiastung

 

Kein Stabilitätsverlust im Bewegungssegment

Alle operativen Maßnahmen, ob minimalinvasiv oder nicht minimalinvasiv, führen zu einer weiteren Instabilität im Bewegungssegment. Das einzige Verfahren, bei dem keine Zunahme der Instabilität erfolgt, wie SIEBERT (1993) demonstrieren konnte, ist der Nd:YAG-Laser 1.064 nm. Im Gegenteil, WITTENBURG und STEFFEN (1997) beschreiben sogar eine Stabilitätszunahme bei ihren Messungen hinsichtlich der Translationsbewegung am Wirbelsäulenmodell. Zusätzlich zu dieser primären offenbaren Stabilitätszunahme entstehen die in den experimentellen Untersuchungen nachgewiesenen Late-Shrinking-Effekte durch eine intradiskale Narbenbildung vom fibrokartilaginären Typ, die experimentell allerdings erst nach einem Jahr abgeschlossen sind. Zumindest ist eine weitere Instabilität eingriffsbedingt nicht mehr anzunehmen.

 

Sicherheit nachgewiesen

Eine wichtige experimentelle Voraussetzung war der Nachweis über die Eindringtiefe des Nd:YAG-Laser-Strahles neben dem Vaporisationsdefekt an der Spitze der Laserfiber und die Wärmeverteilung in der Bandscheibe. Dazu liefert die Arbeitsgruppe um SIEBERT (1996) die Grundlagen mit ihren Messungen (Abb. 5). Bei einer definierten Dosis von 20 Watt und einer Beschussdauer von einer Sekunde ist mit einer Eindringtiefe von 6 mm zu rechnen. In keinem Fall wurden Temperaturen oberhalb des Koagulationsniveaus der Proteine im Spinalkanal oder den anschließenden Deck- und Grundplatten bei korrekter Lage der Fiberspitze gemessen. Die Untersuchungen sind für die Sicherheit des Eingriffes von entscheidender Bedeutung gewesen. Daraus schlussfolgernd konnte für die Technik der lumbalen, thorakalen dorsolateralen Zugangswege die Nadelplatzierung im dorsolateralen Drittel der Bandscheibe festgelegt werden.

Abb. 5: Temperaturverteilung bei Nd:YAG-Laserbeschuss von Bandscheibengewebe nach W. Siebert. Beirichtiger Dosisauswahl und Applikationsdauer bleibt die Temperaturerhöhung unter der kritischen Grenze von 56°.

Dosis-Wirkungs-Beziehung im klinischen Einzelfall noch nicht völlig geklärt

Maximaldosen mit 1.600 Joule pro Bandscheibenbereich wurden nach den experimentellen Untersuchungen für den Lumbai- und unteren Thorakalbereich postuliert. Im oberen thorakalen Bereich wurden Gesamtdosen bis 1.000 Joule wegen der kleineren Bandscheibenfläche und entsprechend bis 360/400 Joule im HWS-Bereich errechnet. Im klinischen Experiment der Pilotstudien zeigtesich,dasseineDosisvon 1 5 Wattund einer Sekunde Beschussdauer die Obergrenze der Toleranz bei Regionalanästhesie und Analgosedierung darstellte. Die Einzelschussdosis wurde im Laufe der Jahreverkürzt und in der Gesamtdosis auf durchschnittlich 900-1.100 Joule reduziert, ohne dass die Ergebnisse sich negativ veränderten. Mit diesen Dosen wurden im Gegensatz zur Anwendung des Holmium:YAG-Lasers und des Nd:YAG-Lasers 1 .320 nm keinerlei Grund- und Deckplattenschäden festgestellt. Vereinzelt in MRI-Auf-nahmen sichtbare Ödemveränderungen in den angrenzenden Wirbelkörpern der operierten Bandscheibe entsprechen den gleichen Veränderungen wie sie auch nach offenen Eingriffen vorübergehend auftreten können.

Zwei Wirkungsmechanismen schalten Schmerz aus

Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Nd:YAG-Laser 1.064 nm bei nonendoskopischer perkutaner intradiskaler Anwendung zwei Wirkungsmechanismen zur Beseitigung der diskalen Schmerz- und Lähmungsursachen aufweist. Zum ersten ist es ein Effekt wie bei der offenen intraspinalen Dekompression: Die mechanische Entlastung der intraspinalen Strukturen wie venöse Plexus, spinale Arterien, radikuläre Arterien und der nervalen Strukturen wie Nervenwurzel und lange Bahnen selbst. Dieser Wirkungsmechanismus beruht auf der Verbindung der intradiskalen Druckminderung durch die Vaporisation und dem Shrinkingphänomen mit der Druckentlastung maximal im Spinalkanal. Dabei kommt der venösen Kongestion größte Bedeutungzu, da sie dort bereits im geringen Ausmaße zu Veränderungen der Synapsen im dorsalen Spinalganglion führt (SUGAWARA et al. 1996). Die vom Autor präferierte multisegmentale Dekompression zur Verminderung der venösen Stase ist durch die Untersuchungen von PORTER und WARTH (1992) zur Bedeutung der Zweihöhenpathologie untermauert. Der zweite Wirkungsmechanismus im Rahmen der Behandlung des vertebragenen diskogenen Schmerzsyndroms durch die intradiskalen Wirkungen des Nd:YAG-Lasers ist in schmerztherapeutischer Hinsicht zu sehen. Die Zerstörung der Nozizeptoren im hinteren Faserring zählt dabei ebenso wie die Zerstörung der im Rahmen von Neovaskularisationen des Bandscheibengewebes (Abb. 6) eingesprossten Nervenfasern. Nicht zu unterschätzen istdieDenaturation von schmerzaktivierenden Kininen aus dem zerrissenen Bandscheibengewebe (Tab. 2). Die dargestellten experimentellen Grundlagen in vitro, in vivo und in der klinischen Forschung lassen keinen Zweifel mehr an der Wirksamkeit des Nd:YAG-Laser 1.064 nm auf das Gewebe des Discus intervertebralis und somit auf pathologische Erscheinungsformen mit klinischen Syndromen. Die immer wieder aufgestellte Behauptung von psychologischen Effekten ist nicht aufrecht zu erhalten. Die Frage nach Wirksamkeit für den Patienten oder Gimmick wie von MAYER et al. aufgeworfen, kann eindeutig von der Grundlagenforschung her mit der nachgewiesenen Wirksamkeit zur intradiskalen und intraspinalen Druckentlastung bei minimalster Schädigungsmöglichkeit beantwortet werden.

 

Ergebnisse mit anderen Lasertypen

Gegenüber anderen Lasertypen ist im Experiment der CO2-Laser zu nennen. Diesem Lasertyp entspringt ebenfalls auf Grund seiner Wellenlänge ein hervorragender unmittelbarer Shrinkingeffekt (KOLARIK et al. 1990). Technische Schwierigkeiten bei der Applikation am Menschen haben jedoch der Verbreitung des Lasertypes Grenzen gesetzt. Die ähnlich dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm wirkende Wellenlänge 1.320 nm erfordert offenbar zur Erzielung eines ausreichenden Shrinkings der Bandscheibe höhere Dosen mit bis 8% nachgewiesenen Deck- und Grundplattenschäden. Der KTP-Laser ist in der Wirkungsweise dem Nd:YAG-Laser ähnlich, jedoch fehlen Grundlagenuntersuchungen wie beim Nd:YAG-Laser 1.064 nm. Die mitgeteilten klinischen Resultate sind hinsichtlich der Erfolgsrate zufriedenstellend, jedoch sind auch hier Deck- und Grundplattenschäden beschrieben. Möglicherweise istdie Dosiswirkungsfrage hier die entscheidende Größe. Dazu fehlen experimentelle Grundlagen. Der Diodenlaser 940 nm ist zweifelsfrei mitder größten thermischen Wirkung in der Bandscheibe anzusetzen und zeigt ein ähnliches Shrinkingphänomen wie der Nd:YAG-Laser 1.064 nm (HELLINGER und PAUL 1998). Der vielfach eingesetzte Ho:YAG-Laser mit seiner Wellenlänge von 2.100 nm als gepulster Laser ist für die nonendoskopische intradiskale Anwendung nach unseren Untersuchungen nicht geeignet. Die gegenüber dem Nd:YAG-Laser 1.064 nm etwas größere Abla-tionsmenge bleibt jedoch im Grammbereich, so dass dieser Effekt klinisch vernachlässigt werden kann. Die Anwendung des Ho:YAG-Lasers 2.100 nm sollte nur unter Sicht im Endoskop oder bei der H o: YAG-Laserassistierten offenen Nukleotomie erfolgen (HELLINGER 1995).

Zusammenfassung

Der Nd:YAG-Laser 1.064 nm besitzt auf Grund seines Absorptionsspektrums beste Voraussetzungen nach experimentellen Untersuchungen durch Vaporisation von Diskusgewebe zu einem intradiskalen Druckabfall zu führen. Als noch wichtigeres Geschehen ist durch die thermische Wirkung die schlagartige Druckverminderung im Spinalkanal infolge des Shrinkingeffektes mit Verkürzung der Kollagenfibrillen im Verbund der Bandscheibe zu sehen. Zusätzliche Effekte sind die Stabilitätssteigerung im Bewegungssegment sowie die Destruktion von Nozizeptoren und Nervenfasern im hinteren Faserring sowie der vaskularisierten Bandscheibe im Degenerationsprozess. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Denaturierung von schmerzauslösenden bandscheibengenerierten Kininen. Da auch hinsichtlich Eindringtiefe des Nd:YAG-1.064-nm-Laserstrahles und Wärmekonvektion exakte Untersuchungen mit dem fehlenden Nach weis einer Schädigung bei richtiger Dosierung vorliegen, ist der NdrYAG-Laser 1.064 nm derzeit der Laser unserer Wahl für die intradiskale Bandscheibendekompression und -nukleotomie.

 Literatur beim Verfasser